Dummheit als moralisches Defizit

 

22.07.25

Vorbemerkung:

Es ist durchaus ein Ausdruck geistiger Vielfalt, wenn verschiedene Leute zu ein und derselben Sache verschiedene Meinungen haben. Und Vielfalt ist unser Reichtum.

Wozu Dummheit ernst nehmen?

Wenn Dietrich Bonhoeffer im Angesicht des Todes – immerhin stellt er sich bewusst frühzeitig und offen gegen die deutschen Faschisten – sich ernsthafte Gedanken über die Dummheit und deren moralische Aspekt macht, so haben wir erst einmal allen Grund, das ernst zu nehmen. 

Und zwar aus mindestens zwei Gründen: 

1. Der historische Grund:

Wir leben in einer Zeit, wo der Faschismus gerade wieder salonfähig gemacht wird. Bonhoeffer musste erleben und erleiden und am Ende verstehen, was gerade wieder vor unseren Augern geschieht, wir aber vielfach gerne ausblenden. Selten war die KPD so stark, wie unmittelbar vor dem Siegeszug der NSDAP. Und nie war die SPD im Reichstag so stark, wie unmittelbar vor den Vorbereitungen zum ersten Weltkrieg. Und nie war die DDR so erfolgreich und stabil, wie im Frühjahr 1989 – ein halbes Jahr vor ihrem Scheitern in einer friedlichen Revolution. All diese Bilder waren natürlich Selbstbilder von sich überzeugter Leute.

Die Menschen, die diese drei Ereignisse kommen sahen und vor ihnen warnten, wurden verlacht, eingesperrt (wie Rosa Luxemburg im Kaiserreich, Ernst Thälmann und Bonhoeffer im NS-Staat und bekannte Bürgerrechtler in der DDR). Einige von ihnen wurden auch ermordet wie Luxemburg, Bonhoeffer (KZ Flossenbürg) und Thälmann (KZ Buchenwald). Und natürlich Alois Andritzki (KZ Dachau), sorbischer Katholik.

2. Der (relativ) aktuelle Grund:

Im Jahr 2019 erlebte DIE LINKE.Sachsen eine ihrer größten Niederlagen bei der Landtagswahl. Organisiert wurde diese Niederlage durch hartnäckiges Wegschauen von Mehrheiten auf der Landes-Vertreterkonferenz in Leipzig.

Grundlage dieses Wegschauens war die „Konzentration“ einzelner Gruppierungen und Cliquen auf ihre Gruppeninteressen, die sie durch einen sicheren Listenplatz „ihres“ Kandidaten glaubten verfolgen zu müssen und zu können.

Ergebnis dieses Wegschauens waren folgende Kollateralschäden:

  1. Die einzige nationale Minderheit im Freistaat Sachsen, die Sorben, in unserer Partei vertreten


    durch die „Serbska Lěwica“ („Sorbische Linke“ als Gliederung der sächsischen Partei) erhielt für ihren Kandidaten den Platz 65 von 65 möglichen. Ein deutliches Zeichen der „Wertschätzung für Benachteiligte und Minderheiten“? Schädliche Dummheit, könnte man sagen.

  2. Seit 1990 war es vollkommen selbstverständlich, dass zur PDS- respektive Linksfraktion unbedingt ein Mensch mit Behinderung gehörte. Ein sichtbares Zeichen für die Hinwendung der Partei zu den Benachteiligten. Die Vertreterversammlung hätte möglicherweise diese wünschenswerte Besetzung sogar in Betracht gezogen – wenn nur jemand darauf gekommen wäre. Erst in der darauf folgenden Woche machte Birger H. via facebook(!) auf dieses Defizit aufmerksam. Natürlich war es zu spät.

  3. Der Landtag als gesetzgebendes Organ hatte seit 1990 von PDS, Linkspartei und der Partei DIE LINKE stets mindestens einen Juristen mit Mandat. Eine politische Botschaft – unter anderem. 2019 allerdings wurde auf der Vertreterkonferenz noch nicht einmal danach gefragt, was man den zahlreichen Juristen der anderen Parteien entgegenzustellen hätte. Es war einfach kein Thema. Und niemandem im Saal fiel es auf. So etwas muss man wohl vorher bedenken. Der Landesvorstand hätte diese Frage stellen können. Doch jeglicher Freiraum des Denkens war von Gruppen- und Cliqueninteressen ausgefüllt. Da kann man sich schließlich nicht auch noch um die Sache selbst kümmern – nicht wahr? Keine böse Absicht, nur Gleichgültigkeit, die im Endeffekt schlimme Dummheit war.

Diese drei Punkte gaben Auskunft über die politische Reife einer Partei 2019, die gelegentlich von Regierungsverantwortung träumt. Sich noch dümmer zu präsentieren wäre kaum möglich gewesen.

Und deshalb ist Dummheit, mit Bonhoeffer gesprochen, kein kognitives oder intellektuelles Defizit sondern ein moralisches. Und darum ist Dummheit auch keinesfalls harmlos sondern kreuzgefährlich. Bonhoeffer hat dafür mit dem Leben bezahlt.

Und jene Mehrheiten, die Hitler mittels Wahlen zur Macht verhalfen, waren, wie Erich Kästner zu sagen pflegte, „feuergefährlich dumm“.

Hier ein Auge zuzudrücken ist – na was schon?

Freilich muss man auch die Aussage des Antifaschisten Bert Brecht beachten, dass die Wahrheit zu ihrer Verbreitung der List bedarf. Das klingt traurig – ist aber praktisch erprobt. Und da die Macht der Dummen real ist ...







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